Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich die Antwort auf diese Frage total verändert
Klaras Abdankungsfeier
Klara liebte Volksmusik. Aber auch Wiener Walzer. Das Herz der Tochter hingegen schlägt eher für den Jazz. Nun ist Klara verstorben und die
Hinterbliebenen machen sich zusammen mit der Pfarrperson daran, die Abdankungsfeier vorzubereiten. Ob sie überhaupt in der Kirche stattfinden soll?
Oder eher an einem ihrer Lieblingsplätze im Wald? Doch, Kirche ist gut. Schliesslich hat Klara ein Leben lang Kirchensteuer bezahlt.
Da ist eine kirchliche Abschiedsfeier angebracht, ist ja auch kostenlos, inkl. Pfarrperson und Organistin.
Die Musik? Das Lied vom Guggisberger Jodlerchörli, das Klara so gern hörte, der Walzer, der immer am Schluss des Neujahrskonzertes gespielt wird,
und zu Beginn ein Jazzstück von der Lieblingsband der Tochter. Das Programm wird der Organistin mitgeteilt, der Anlass findet in ein paar Tagen statt.
So oder ähnlich kann sich heute die musikalische Vorbereitung eines kirchlichen Anlasses gestalten. Wie sehr sich dabei die Rolle der Orgel und die
Erwartungen an Orgelmusik gewandelt haben, möchte ich mit dieser Kolumne aufzeigen.
Jazz in der Kirche? Undenkbar!
Bis in die 1980er Jahre hinein war völlig klar, dass in der Kirche ausschliesslich Musik zu ertönen hat, die sich schickt für Gottes Haus.
Ein Schlagzeug an einer Konfirmation? Undenkbar! Ein Jodellied auf der Orgel? Ein unvorstellbarer Frevel!
Ein brillanter Musiker, der sich wagte, ein bisschen an diesen Tabus zu rütteln, war
Hannes Meyer. Der Bündner Organist
war einer der ersten, der die Grenzen des bisher Erlaubten sprengte, indem er Volksmusik oder Orchesterstücke für Orgel bearbeitete und spielte.
Viele Menschen liebten ihn dafür.
Aber wie sehr er sich damit über bisherige Konventionen hinwegsetzte, zeigt die Tatsache, dass er in den 1980er Jahren im Berner Münster
Hausverbot erhielt, weil er von F. Mendelssohn "Ein Sommernachtstraum" gespielt hat.
Entsprechend waren auch die Ausbildungsgänge für KirchenmusikerInnen gestaltet. Jede Menge Frescobaldi, Bach, Mendelssohn, Reger und Messiaen.
Wie man jedoch ein Chanson, ein Männerchorlied oder eine Jazzballade auf die Orgel bringen kann, hatte in den Ausbildungen bis vor wenigen Jahren keinen Platz.
Und jetzt?
Persönlich bin ich sehr froh und dankbar, dass sich die Grenzen des Erlaubten geweitet haben. Ich liebe die Musik von Bach über alles, aber
ich ergänze sie gerne mit Stücken aus anderen Stilen. Ich finde es wichtig, dass die Kirche ihr allgemeines Angebot, aber auch die musikalische
Palette, erweitert hat, und so näher bei den Bedürfnissen und Anliegen der Menschen ist.
Es hat mir grosse Freude bereitet, als ich in Absprache mit der Pfarrperson an der Abschiedsfeier für den ehemaligen Patron einer
Schokoladenfabrik Musik aus dem Film "Chocolat" spielen durfte. Und am Valentinstag liess ich mit Wonne Schnulzen und Liebeslieder ertönen.
Die Orgel ist kein Musikwunsch-Automat
Wenn musikalische Wünsche wie die oben genannten an mich herangetragen werden, versuche ich als Erstes, abzuschätzen, ob mein fachliches Können und
die zur Verfügung stehende Zeit ausreichen. Daneben gibt es für mich eine weitere Grenze: wenn die Würde des Raumes und des Anlasses verletzt wird,
mache ich nicht mit.
"Highway to hell" werde ich nie an einer Hochzeitsfeier spielen, auch wenn ich schon mehrmals mit diesem Wunsch konfrontiert worden bin.
Ebenso lehne ich es ab, etwas auf der Orgel zu spielen, wenn das musikalische Resultat nicht überzeugt. Die wunderbare, leicht kratzig-heisere
Stimme von Louis Armstrong in "What a wonderful world" kann ich auf der Orgel nicht immitieren.
Gut, dass wir uns heute einer weitaus grösseren Musikvielfalt erfreuen können. Respektieren wir jedoch trotzdem die Grenzen des guten Geschmacks
und des Instrumentes.
Doris Zürcher, Organistin