Popmusik auf der Kirchenorgel ist empfehlenswert und eine feine Sache! Vor allem eher langsame, balladenähnliche Lieder tönen auf der Orgel manchmal
sehr schön und entwickeln - da sie ja auf der Orgel ziemlich anders als im Original tönen - bisweilen ein liebenswertes Eigenleben.
Eingängige Melodien, dazu eine Harmonik, die auch im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts (!) immer noch hemmungslos von der klassischen Musik
aus Barock, Klassik und manchmal auch Romantik nascht, verzaubern Organistinnen und Organisten - und manchmal sogar die Zuhörerschar.
Das Ganze hat aber auch seine Tücken! Diese finden sich vor allem bei den Sounds, bei der Dynamik und besonders beim Rhythmus, beim Tempo
und oft auch bei der Akustik in der Kirche
Sounds: Für die Aufnahme eines Popsongs braucht man in der Regel alle möglichen akustischen und
elektronischen Musikinstrumente und schichtet dann Stimme um Stimme aufeinander, bis am Schluss ein richtig opulentes Klangfeuerwerk entsteht.
Dazu kommen unzählige Instrumenten- und Klangfarbenwechsel in teilweise rascher Reihenfolge.
Natürlich müssen und können auf einer Orgel nicht die Sounds einer Originalaufnahme imitiert werden. Wenn schon Pop auf der Orgel,
dann darf es auch nach Orgel tönen! Allerdings ist man meistens froh, wenn so ein Popsong auf einer eher registerreichen Orgel mit Schwellwerk
gespielt werden kann. Hat man freie Kombinationen oder gar einen Setzer,
wird auch das Wechseln von Klangfarben erleichtert.
Dynamik: "Normale" Pophits haben meistens einen kleinen Dynamikumfang von vielleicht 3-4 dB. Macht auch Sinn, denn
meistens wird ja solche Musik nicht "richtig" angehört, sondern sie plätschert irgendwo im Hintergrund herum. Und da würden krasse Wechsel in der
Lautstärke nur stören, und der Song bzw. die CD liesse sich auch nicht so gut verkaufen...
...da haben wir Organistinnen und Organisten die Wahl. Entweder registrieren wir ein Stück so, dass es durchwegs
ziemlich gleich laut tönt, oder wir nützen grad extra den meistens beachtlichen und manchmal gewaltigen Dynamikumfang
"unserer" Orgel aus und spielen vom "pianissimo" bis ins "fortissimo".
Tempo, Rhythmus und Akustik: Schwierig und heikel! Uns fehlt das Schlagzeug, welches doch für einen durchgehenden
"Beat" sorgt. Dazu kommt, dass im Original die Melodien meistens reich an Synkopen und Offbeat sind. Und die Orgeln sind auch nicht alle gleich:
Eine kleinere Orgel regaiert ziemlich flink, eine Grössere eher träge. Bei der mechanischen Traktur ist exkates Spielen leichter als bei einer
elektrischen oder (halb)pneumatischen Traktur.
Und dann kommt noch die
Raumakustik dazu. In einer grösseren Kirche mit ziemlich Nachhall wirkt ein an und für sich
sauber gespielter Popsong schnell mal etwas verschwommen und unklar..
In einer eher kleinen Kirche mit wenig Hall tönt ein Song so:
In einer grossen Kirche mit viel Hall tönt es so:
Den "Beat" müssen wir irgendwie anders erzeugen, oft mit durchgehenden Viertel- oder Achtelnoten. Das hängt halt vom
Orgel-Arrangement ab. Und besonders wichtig: Immer stur und starr im genau gleichen Tempo spielen!!!
Vermeintlich gefühlvolles Tempogewackel ist hier fehl am Platz. Höchstens ab und zu ein kleines "ritardando" oder gelegentlich eine kleinere "Zäsur"
(wegen dem Hall) sind angebracht.
Melodiöse Popsong: Ich habe in den letzten Wochen einige Popsongs auf der Orgel in der Stadtkirche Thun
aufgenommen. Die Orgel ist reich an Registern, also an Klangfarben, und mit dem Setzer kann man klanglich "aus dem Vollen" schöpfen. Eher
nachteilig sind dagegen die Traktur und der (sonst von Organisten hochgeschätzte) Hall.
Diese Songs finden Sie nachfolgend. Zu jedem Song gehören ein Link zu YouTube (damit Sie sich das Original anhören können), die aufgenommene
Orgelversion, das zugehörige Notenbeispiel als PDF sowie zwei XML-Dateien (komprimiert und unkomprimiert). Damit können Sie die Noten
in Ihr Notensatz-Programm importieren und dort nach Belieben bearbeiten.
Wollte man all die komplizierten Song- und Sing-Rhythmen auf einer Kirchenorgel 1:1 imitieren, brächte dies selten ein befriedigendes
Ergebnis, einfach weil eine Kirchenorgel rhythmisch nicht so präzise reagiert wie z.B ein Klavier oder eine Gitarre oder gar ein Synthesizer.
Ich habe deshalb die meisten Songs rhythmisch etwas vereinfacht. Fühlen Sie sich frei, beim Spielen eines Popsongs rhythmische Licks und
Schwierigkeiten nach IhremGusto zu vereinfachen.
Es sind durchwegs schwierige Orgelstücke, genauer gesagt, schwierig zum Erlernen.
Sie werden also ziemlich viel Zeit in
einen Popsong investieren müssen! - Übermässige Virtuosität ist allerdings nicht nötig,
denn wenn man einen Song einmal kann, dann kann man ihn! Achten Sie beim Spielen dieser Songs auf ein genaues Einhalten des Tempos und verlieren
Sie sich nicht in allzu agogische Rubato-Sphären.
Am besten ist es, wenn Sie einen Song in Abschnitte einteilen und dann jeden Abschnitt mit Finger- und Pedalsatz usw. "einrichten".
Anschliessend spielen Sie einen Abschnitt einige Male durch, bis Sie ihn ein wenig können, und von da an üben Sie am besten
nur noch und immer mit dem Metronom, beginnend in einem sehr langsamen Tempo. Dann können Sie den Abschnitt mehrere Male
wiederholen und dabei das Metronom jeweils ein bisschen schneller stellen, bis Sie schliesslich beim erwünschten Tempo angekommen sind.
Dann haben Sie das gemacht, was ich eine
Tempo-Tour nenne. Meistens braucht es mehrere Touren - jede Tour natürlich
ein bisschen schneller - bis der Abschnitt (bzw. der Song) richtig und für ewig sitzt. Sie tun gut daran Ihre Tempo-Touren aufzuschreiben; sonst
verlieren Sie mit der Zeit den Überblick.
Ich mache dieses schweisstreibende und (scheinbar) zeitraubende Mit-dem-Metronom-das-Tempo-steigernde Procedere schon seit der Zeit am Konsi und bin
damit immer gut gefahren. Ich habe immer so ein "Heftchen" bei mir, worinnen ich das Geübte mit allen Tempi schön säuberlich aufschreibe. Das sieht dann
so aus:
Also ziemlich zeitraubend, aber auch befriedigend. Denn am Schluss hat man ein Stück, das man fast auswendig spielen kann oder - ganz einfach -
das man
kann!
Die Zeiten, wo man NUR klassische Orgelmusik spielen durfte (oder musste), sind vorbei. Lesen Sie dazu bitte die Kolumne
"Welche Musik gehört in die Kirche?" von Doris Zürcher.
Ende der 1960er Jahre begann ich mit Orgelspielen, übte und pröbelte fleissig auf der alten Goll-Orgel in der Dorfkirche Spiez.
Dann hatte ich noch ein Philips-Tonbandgerät - noch so ein Richtiges, mit Spulen! Damit konnte ich in Stereo auf zwei Spuren
aufnehmen. Es gab aber auch die Möglichkeit von
Multiplay. Damit konnte ich zwar nur auf einer Spur - also in Mono - aufnehmen;
dafür war es möglich, in weiteren Aufnahmen immer mehr Instrumente beifügen.
Und da muss ich gestehen, dass ich damals ziemlich unkirchliche Musik aufnahm, nämlich
Jazz, vor allem
Dixieland. Ich begann also mit der 1. Aufnahme und nahm die ganze Akkordfolge vom z.B.
"Royal Garden
Blues" mit einer eher grundtönigen Registrierung auf Spur 1 auf. Bei der nächsten Aufnahme überspielte ich die Akkorde von Spur 1 auf Spur 2
und nahm gleichzeitig den Bass auf Spur 2 auf (die alte Spiezer Orgel hatte so einen fetten Principal 16' im Pedal, der immer ein wenig hintendreinhinkte).
Dann kopierte ich Akkorde und Bass auf Spur 1 und nahm dazu die Trompete auf (Dafür diente mir das hübsche und laut intonierte Kornett vom Hauptwerk).
Danach übertrug ich alles von Spur 1 auf Spur 2 auf und nahm gleichzeitig die Posaune auf (Hier brauchte ich die sonore Trompete vom Schwellwerk).
Und am Schluss kippte ich alles von Spur 2 auf Spur 1 und nahm dazu die Klarinette auf (wofür ich ich 8' 4' 2 2/3' 2' und 1 3/5'
vom Schwellwerk registrierte).
Und so bekam ich den Blues in Dixieland-Manier. Er tönte rhythmisch zwar etwas wackelig, - ich war ja noch Anfänger, und die pneumatische
Orgel trug auch ihren Teil zum Rhythmuswackel bei - aber auch wunderschön. Ich höre ihn noch immer vor meinem inneren Ohr.
Zwei, drei Jahre später traktierte ich die Orgel im Gottesdienst, in verschiedenen Kirchen. Ich spielte "brav" die kurzen Präludien und Fugen
von Fischer, "Kleine Präludien und Fugen", einfachere Orgelchoräle und Trios. Selbstverständlich hätte ich es damals
NIE gewagt, Dixieland, Blues, volkstümliche Musik oder auch mal einen Song von den Beatles im Gottesdienst zu spielen.
Das gehörte sich einfach nicht!!!
In den 1950er Jahren soll scheints in Bern ein Ausweis-1-Schüler bei der Prüfung durchgefallen sein, weil er es gewagt hatte, ein etwas
schmalziges und emotionales Zwischenspiel von Marcel Dupré zu spielen!
Aber - die Zeiten ändern und wir ändern uns mit ihnen. Wie ja schon
Doris Zürcher in ihrere Kolumne beschreibt.
Musikwünsche an Organistinnen und Organisten sind an der Tagesordung, und da ist sehr selten ein Bach oder Mendelssohn darunter!
Besonders bei einer Abdankungsfeier für eine liebe, verstorbene Person, aber auch bei Trauungen und ganz "normalen" Sonntags-Gottesdiensten
werden Musikwünsche angebracht. Und da würde man sich als Organistin oder Organist das eigene Organistengrab schaufeln, wenn man nicht auf diese
Wünsche eingehen wollte!
Das Problem bei der "Nicht-für-die-Orgel-komponierten-Musik" ist immer
DIE ORGEL selber.
Eine Orgel tönt einfach anders als ein Klavier, eine Gitarre, ein
Streicherensemble, ein Schwyzerörgeli, ein Synthesizer, eine Drum Machine oder ein Chor. Der Orgelklang ist relativ starr und unbelebt,
und die Töne klingen halt so lange, wie die Tasten gedrückt bleiben! Auf der Orgel kann man nicht einfach so herumzirpen wie auf einer
Gitarre oder es plätschern lassen wie auf einem Klavier oder E-Piano. Und schmachtende Vocals mit viel Atemgeräuschen - wie sie ja so in Mode
gekommen sind - lassen sich einfach fast nicht generieren.
Dazu kommt das Eigenleben
einer jeden Orgel! Eine Orgel tönt hell und klar, eine andere Orgel tönt matt und
leblos, wieder eine "chlefelet u polteret" wie ein freigelassener Muni, dann eine andere tönt wieder silberhell und anmutig. Und dann haben wir
manchmal genügend, aber häufig(!) zu wenig Register, um einen einigermassen adäquaten Klang zu erzeugen.
Diese Orgel
gehorcht der Organistin und reagiert flink,
jene Orgel aber ist träge wie ein Berner beim sonntäglichen Spaziergang
im Januar.
In
dieser Kirche hilft die Raumakustik mit einer angenehmen, "glättenden" Akustik, aber in der
anderen Kirche tönt es wie in Röslis Besenkammer...
ES IST ZUM VERZWEIFELN! .......
...könnte man meinen. Und trotzdem ist es nicht so schlimm. Denn uns allen
hilft hier der
Wiedererkennungswert. Eine wundersame menschliche Eigenschaft hilft mir, ein ein von mir gewünschtes
Musikstück - einigermassen passabel gespielt auf der Orgel - als solches zu erkennen, zu akzeptieren und daran sogar Freude und Befriedigung zu haben
- auch wenn vielleicht die Sounds nicht so "stimmen" und Tempo und Rhythmus etwas behäbig sind. Wenn nur die Melodie einigermassen wie
im Original tönt und das Tempo vergleichbar ist, dann bin ich es (und sind es erfahrungsgemäss viele andere auch) zufrieden.