Popmusik auf der Orgel
April 2021
Vorwort
Popmusik auf der Kirchenorgel ist empfehlenswert und eine feine Sache! Vor allem eher langsame, balladenähnliche Lieder tönen auf der Orgel manchmal sehr schön und entwickeln - da sie ja auf der Orgel ziemlich anders als im Original tönen - bisweilen ein liebenswertes Eigenleben. Eingängige Melodien, dazu eine Harmonik, die auch im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts (!) immer noch hemmungslos von der klassischen Musik aus Barock, Klassik und manchmal auch Romantik nascht, verzaubern Organistinnen und Organisten - und manchmal sogar die Zuhörerschar.

Das Ganze hat aber auch seine Tücken! Diese finden sich vor allem bei den Sounds, bei der Dynamik und besonders beim Rhythmus, beim Tempo und oft auch bei der Akustik in der Kirche


Sounds:  Für die Aufnahme eines Popsongs braucht man in der Regel alle möglichen akustischen und elektronischen Musikinstrumente und schichtet dann Stimme um Stimme aufeinander, bis am Schluss ein richtig opulentes Klangfeuerwerk entsteht. Dazu kommen unzählige Instrumenten- und Klangfarbenwechsel in teilweise rascher Reihenfolge.
Natürlich müssen und können auf einer Orgel nicht die Sounds einer Originalaufnahme imitiert werden. Wenn schon Pop auf der Orgel, dann darf es auch nach Orgel tönen! Allerdings ist man meistens froh, wenn so ein Popsong auf einer eher registerreichen Orgel mit Schwellwerk gespielt werden kann. Hat man freie Kombinationen oder gar einen Setzer, wird auch das Wechseln von Klangfarben erleichtert.
Dynamik:  "Normale" Pophits haben meistens einen kleinen Dynamikumfang von vielleicht 3-4 dB. Macht auch Sinn, denn meistens wird ja solche Musik nicht "richtig" angehört, sondern sie plätschert irgendwo im Hintergrund herum. Und da würden krasse Wechsel in der Lautstärke nur stören, und der Song bzw. die CD liesse sich auch nicht so gut verkaufen...
...da haben wir Organistinnen und Organisten die Wahl. Entweder registrieren wir ein Stück so, dass es durchwegs ziemlich gleich laut tönt, oder wir nützen grad extra den meistens beachtlichen und manchmal gewaltigen Dynamikumfang "unserer" Orgel aus und spielen vom "pianissimo" bis ins "fortissimo".
Tempo, Rhythmus und Akustik:  Schwierig und heikel! Uns fehlt das Schlagzeug, welches doch für einen durchgehenden "Beat" sorgt. Dazu kommt, dass im Original die Melodien meistens reich an Synkopen und Offbeat sind. Und die Orgeln sind auch nicht alle gleich: Eine kleinere Orgel regaiert ziemlich flink, eine Grössere eher träge. Bei der mechanischen Traktur ist exkates Spielen leichter als bei einer elektrischen oder (halb)pneumatischen Traktur.

Und dann kommt noch die Raumakustik dazu. In einer grösseren Kirche mit ziemlich Nachhall wirkt ein an und für sich sauber gespielter Popsong schnell mal etwas verschwommen und unklar..

In einer eher kleinen Kirche mit wenig Hall tönt ein Song so:
In einer grossen Kirche mit viel Hall tönt es so:
Den "Beat" müssen wir irgendwie anders erzeugen, oft mit durchgehenden Viertel- oder Achtelnoten. Das hängt halt vom Orgel-Arrangement ab. Und besonders wichtig: Immer stur und starr im genau gleichen Tempo spielen!!! Vermeintlich gefühlvolles Tempogewackel ist hier fehl am Platz. Höchstens ab und zu ein kleines "ritardando" oder gelegentlich eine kleinere "Zäsur" (wegen dem Hall) sind angebracht.
Melodiöse Popsong:  Ich habe in den letzten Wochen einige Popsongs auf der Orgel in der Stadtkirche Thun aufgenommen. Die Orgel ist reich an Registern, also an Klangfarben, und mit dem Setzer kann man klanglich "aus dem Vollen" schöpfen. Eher nachteilig sind dagegen die Traktur und der (sonst von Organisten hochgeschätzte) Hall.

Diese Songs finden Sie nachfolgend. Zu jedem Song gehören ein Link zu YouTube (damit Sie sich das Original anhören können), die aufgenommene Orgelversion, das zugehörige Notenbeispiel als PDF sowie zwei XML-Dateien (komprimiert und unkomprimiert). Damit können Sie die Noten in Ihr Notensatz-Programm importieren und dort nach Belieben bearbeiten.

Wollte man all die komplizierten Song- und Sing-Rhythmen auf einer Kirchenorgel 1:1 imitieren, brächte dies selten ein befriedigendes Ergebnis, einfach weil eine Kirchenorgel rhythmisch nicht so präzise reagiert wie z.B ein Klavier oder eine Gitarre oder gar ein Synthesizer. Ich habe deshalb die meisten Songs rhythmisch etwas vereinfacht. Fühlen Sie sich frei, beim Spielen eines Popsongs rhythmische Licks und Schwierigkeiten nach IhremGusto zu vereinfachen.

Es sind durchwegs schwierige Orgelstücke, genauer gesagt, schwierig zum Erlernen. Sie werden also ziemlich viel Zeit in einen Popsong investieren müssen!  - Übermässige Virtuosität ist allerdings nicht nötig, denn wenn man einen Song einmal kann, dann kann man ihn! Achten Sie beim Spielen dieser Songs auf ein genaues Einhalten des Tempos und verlieren Sie sich nicht in allzu agogische Rubato-Sphären.

Am besten ist es, wenn Sie einen Song in Abschnitte einteilen und dann jeden Abschnitt mit Finger- und Pedalsatz usw. "einrichten". Anschliessend spielen Sie einen Abschnitt einige Male durch, bis Sie ihn ein wenig können, und von da an üben Sie am besten nur noch und immer mit dem Metronom, beginnend in einem sehr langsamen Tempo. Dann können Sie den Abschnitt mehrere Male wiederholen und dabei das Metronom jeweils ein bisschen schneller stellen, bis Sie schliesslich beim erwünschten Tempo angekommen sind.

Dann haben Sie das gemacht, was ich eine Tempo-Tour nenne. Meistens braucht es mehrere Touren - jede Tour natürlich ein bisschen schneller - bis der Abschnitt (bzw. der Song) richtig und für ewig sitzt. Sie tun gut daran Ihre Tempo-Touren aufzuschreiben; sonst verlieren Sie mit der Zeit den Überblick.

Ich mache dieses schweisstreibende und (scheinbar) zeitraubende Mit-dem-Metronom-das-Tempo-steigernde Procedere schon seit der Zeit am Konsi und bin damit immer gut gefahren. Ich habe immer so ein "Heftchen" bei mir, worinnen ich das Geübte mit allen Tempi schön säuberlich aufschreibe. Das sieht dann so aus:
Also ziemlich zeitraubend, aber auch befriedigend. Denn am Schluss hat man ein Stück, das man fast auswendig spielen kann oder - ganz einfach - das man kann!
Songs
Mike Batt
Bright Eyes   (Mike Batt)
Dieser luftige Song von Mike Batt wurde an einer Konfirmation gewünscht. Im ersten Teil wird die Melodie (ein- und zweistimmig) von der linken Hand gespielt. Den Schluss bildet ein langes Diminuendo, wo man mit der einen Hand den Akkord spielen und mit der andern Hand nach und nach Register wegnehmen kann.
Form:
Oboensolo - Strophe - Strophe - Refrain
Oboensolo - Strophe - Strophe - Refrain
Coda
George
Hie bini deheim   (George)
Vor Jahren wünschte sich eine Organistin eine Orgelversion dieses zu Herze gehenden, sehr bekannten Mundartlieds. Sie beklagte sich dann aber ein wenig über die vielen rhythmischen Schwierigkeiten. Schwierig sind in der Tat die vielen Synkopen - meistens auf dem immer gleich hohen Ton - in der Melodie. Fleissiges Üben und exaktes und trotzdem entspanntes Spielen sowie gemütliches Tempo helfen.
Form:
Instrumental - Strophe - Refrain
Strophe - Refrain
Instrumental (mit Schluss aus Strophe) - Refrain
Rolling Stones
Angie   (Rolling Stones)
Dieser Song wurde von einer Trauerfamilie für eine Beerdigung gewünscht. Ich war so frei und habe ein langes "Orgelsolo" eingefügt. Auf YouTube finden Sie eine Version mit einem jungen Mick Jagger.
Form:
Intro - Strophe - Strophe - Bridge
Strophe - Strophe - Strophe - Bridge
Strophe ad. lib. (instrumental)
Bridge - Strophe
Steve Lee
Heaven   (GOTTHARD / Steve Lee)
Dieser Song wurde für eine Beerdigung gewünscht. Lesen Sie, was in "Wikipedia" über den Lead-Sänger Steve Lee steht (gekürzt):
Steve Lee, Sohn eines Briten und einer Schweizerin, wurde 1963 in Horgen geboren. Später zog seine Familie ins Tessin, wo er den Beruf eines Goldschmieds erlernte. Mit 12 Jahren kaufte er sich sein erstes Schlagzeug. Ab 1988 war er Schlagzeuger der Band forsale. 1990 gründete er zusammen mit Kollegen die Schweizer Rockband Krak, welche kurz darauf in Gotthard umbenannt wurde...
...Neben seiner Tätigkeit bei Gotthard sang Steve Lee zusammen mit Bo Katzman und John Brack eine Coverversion des Beatles-Songs With a Little Help from My Friends ein., die 1999 auf Platz 18 der Schweizer Single-Hitparade kam...
...Lee sah sich selbst als „Rocker mit Anstand“ und war nie wegen grosser Skandale in der Presse; er war vielmehr ein gefragter Talkgast. Steve Lee sprach fließend Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch. Zudem war Lee auch karitativ engagiert...
...am 5. Oktober 2010, kam Steve Lee bei einem Verkehrsunfall auf einer Motorradtour auf der Interstate 15 in der Nähe von Mesquite in Nevada ums Leben. Ein Lastwagen geriet außer Kontrolle und schleuderte fünf abgestellte Motorräder durch die Luft, wovon eines den Sänger erschlug. Lee verstarb noch an der Unfallstelle.
Form:
Intro - Strophe - Strophe - Bridge
Strophe - Strophe - Strophe - Bridge
Strophe ad. lib. (instrumental)
Bridge - Strophe
Patent Ochsner
I ha letscht Nacht e Troum gha   (Patent Ochsner)
Auch dieses Lied wurde von einer Trauerfamilie für eine Beerdigung gewünscht. Es ist denkbar einfach gestrickt und besteht eigentlich nur aus Klarinettensolo und Strophe. Hübscherweise ist es im Drei-Viertel-Takt, der in der Popmusik ziemlich selten vorkommt.
Form:
Klarinette - Strophe im Tenor - Strophe im Sopran - Strophe im Tenor
Klarinette - Strophe mit Akkorden - Strophe im Tenor
Klarinette
Simon and Garfunkel
Bridge Over Troubled Water   (Simon and Garfunkel)
Einer meiner Lieblings-Popsongs. Ziemlich schwierig zu spielen; ich musste jedenfalls wochenlang üben, bis ich den Song einigermassen "im Kasten" hatte. Und das, obwohl doch ich selber das Arrangement geschrieben habe!

Und dann stellte ich fest, dass die Originaltonart Es-Dur auf der Orgel in der Kirche Wimmis ziemlich schräg tönt, da diese Orgel (leider) nicht gleichstufig temperiert gestimmt ist. Also runter, nach D-Dur, was glücklicherweise das Notensatzprogramm übernahm; aber dann musste ich wieder ewig plus drei Stunden üben, denn Es- und D-Dur sind rein "topografisch" ziemlich unterschiedlich.

So ist und so sei es. Das Lied hat drei gleichartige Strophen, die jeweils verhalten beginnen und sich dann in einem gewaltigen Crescendo steigern. Beim Audio-Editor auf meinem PC sieht der Song dann so aus:
Form:
Intro - Strophe 1
Strophe 2
Strophe 3
Francine Jordi und Florian Ast
Träne   (Florian Ast)
Ein berndeutsches Lied, hübsch gesungen von Florian Ast und Francine Jordi, gewünscht für eine Abdankungsfeier. Im Orgelarrangement habe ich den Melodierhythmus ziemlich (bis über Gebühr?) vereinfacht.
Form:
Strophe (Tenor) - Strophe (Sopran) - Strophe (Duo, in A-DurI
Zwischenspiel - Strophe (Duo) - Strophe (Duo)
Ausblick
Die Zeiten, wo man NUR klassische Orgelmusik spielen durfte (oder musste), sind vorbei. Lesen Sie dazu bitte die Kolumne "Welche Musik gehört in die Kirche?" von Doris Zürcher.

Ende der 1960er Jahre begann ich mit Orgelspielen, übte und pröbelte fleissig auf der alten Goll-Orgel in der Dorfkirche Spiez. Dann hatte ich noch ein Philips-Tonbandgerät - noch so ein Richtiges, mit Spulen! Damit konnte ich in Stereo auf zwei Spuren aufnehmen. Es gab aber auch die Möglichkeit von Multiplay. Damit konnte ich zwar nur auf einer Spur - also in Mono - aufnehmen; dafür war es möglich, in weiteren Aufnahmen immer mehr Instrumente beifügen.

Und da muss ich gestehen, dass ich damals ziemlich unkirchliche Musik aufnahm, nämlich Jazz, vor allem Dixieland. Ich begann also mit der 1. Aufnahme und nahm die ganze Akkordfolge vom z.B. "Royal Garden Blues" mit einer eher grundtönigen Registrierung auf Spur 1 auf. Bei der nächsten Aufnahme überspielte ich die Akkorde von Spur 1 auf Spur 2 und nahm gleichzeitig den Bass auf Spur 2 auf (die alte Spiezer Orgel hatte so einen fetten Principal 16' im Pedal, der immer ein wenig hintendreinhinkte). Dann kopierte ich Akkorde und Bass auf Spur 1 und nahm dazu die Trompete auf (Dafür diente mir das hübsche und laut intonierte Kornett vom Hauptwerk). Danach übertrug ich alles von Spur 1 auf Spur 2 auf und nahm gleichzeitig die Posaune auf (Hier brauchte ich die sonore Trompete vom Schwellwerk). Und am Schluss kippte ich alles von Spur 2 auf Spur 1 und nahm dazu die Klarinette auf (wofür ich ich 8'   4'   2 2/3'   2'  und  1 3/5' vom Schwellwerk registrierte).

Und so bekam ich den Blues in Dixieland-Manier. Er tönte rhythmisch zwar etwas wackelig, - ich war ja noch Anfänger, und die pneumatische Orgel trug auch ihren Teil zum Rhythmuswackel bei - aber auch wunderschön. Ich höre ihn noch immer vor meinem inneren Ohr.

Zwei, drei Jahre später traktierte ich die Orgel im Gottesdienst, in verschiedenen Kirchen. Ich spielte "brav" die kurzen Präludien und Fugen von Fischer, "Kleine Präludien und Fugen", einfachere Orgelchoräle und Trios. Selbstverständlich hätte ich es damals NIE gewagt, Dixieland, Blues, volkstümliche Musik oder auch mal einen Song von den Beatles im Gottesdienst zu spielen. Das gehörte sich einfach nicht!!!
In den 1950er Jahren soll scheints in Bern ein Ausweis-1-Schüler bei der Prüfung durchgefallen sein, weil er es gewagt hatte, ein etwas schmalziges und emotionales Zwischenspiel von Marcel Dupré zu spielen!
Aber - die Zeiten ändern und wir ändern uns mit ihnen. Wie ja schon Doris Zürcher in ihrere Kolumne beschreibt. Musikwünsche an Organistinnen und Organisten sind an der Tagesordung, und da ist sehr selten ein Bach oder Mendelssohn darunter!

Besonders bei einer Abdankungsfeier für eine liebe, verstorbene Person, aber auch bei Trauungen und ganz "normalen" Sonntags-Gottesdiensten werden Musikwünsche angebracht. Und da würde man sich als Organistin oder Organist das eigene Organistengrab schaufeln, wenn man nicht auf diese Wünsche eingehen wollte!

Das Problem bei der "Nicht-für-die-Orgel-komponierten-Musik" ist immer DIE ORGEL selber. Eine Orgel tönt einfach anders als ein Klavier, eine Gitarre, ein Streicherensemble, ein Schwyzerörgeli, ein Synthesizer, eine Drum Machine oder ein Chor. Der Orgelklang ist relativ starr und unbelebt, und die Töne klingen halt so lange, wie die Tasten gedrückt bleiben! Auf der Orgel kann man nicht einfach so herumzirpen wie auf einer Gitarre oder es plätschern lassen wie auf einem Klavier oder E-Piano. Und schmachtende Vocals mit viel Atemgeräuschen - wie sie ja so in Mode gekommen sind - lassen sich einfach fast nicht generieren.

Dazu kommt das Eigenleben einer jeden Orgel! Eine Orgel tönt hell und klar, eine andere Orgel tönt matt und leblos, wieder eine "chlefelet u polteret" wie ein freigelassener Muni, dann eine andere tönt wieder silberhell und anmutig. Und dann haben wir manchmal genügend, aber häufig(!) zu wenig Register, um einen einigermassen adäquaten Klang zu erzeugen. Diese Orgel gehorcht der Organistin und reagiert flink, jene Orgel aber ist träge wie ein Berner beim sonntäglichen Spaziergang im Januar. In dieser Kirche hilft die Raumakustik mit einer angenehmen, "glättenden" Akustik, aber in der anderen Kirche tönt es wie in Röslis Besenkammer...

ES IST ZUM VERZWEIFELN!   .......

...könnte man meinen. Und trotzdem ist es nicht so schlimm. Denn uns allen hilft hier der Wiedererkennungswert. Eine wundersame menschliche Eigenschaft hilft mir, ein ein von mir gewünschtes Musikstück - einigermassen passabel gespielt auf der Orgel - als solches zu erkennen, zu akzeptieren und daran sogar Freude und Befriedigung zu haben - auch wenn vielleicht die Sounds nicht so "stimmen" und Tempo und Rhythmus etwas behäbig sind. Wenn nur die Melodie einigermassen wie im Original tönt und das Tempo vergleichbar ist, dann bin ich es (und sind es erfahrungsgemäss viele andere auch) zufrieden.