Im Februar 1992 begann ich meine Stelle als Organist der Stadtkirche Thun.
Als mehr oder weniger "unbeschriebenes" Blatt sah ich mich plötzlich genötigt, für Gottesdienste
und Konzerte enorm viel zu üben (...nachdem ich vorher etwa zehn Jahre lang das Üben aufs Minimum
beschränkt und vor allem von den Reserven gelebt hatte ). Ich fühlte mich etwas gestresst und dachte:
"Dene Lüt da muesch de e chly öppis Rächts biete und nid geng nume so Dibidäbimusig schpile!"
Und dann kam der 24. Dezember, und die Kirche war um 23 Uhr platschvoll, und ich hatte "öppis Rächts"
als Eingangsspiel vorbereitet, nämlich die grosse C-Dur-Toccata von Bach (die mit dem
langen Pedalsolo).
Im darauffolgenden Januar traf ich zufällig einen früheren Kollegen in einer Thuner Beiz. Dieser Kollege
hatte offenbar die Heiligabendfeier besucht, aber er meckerte ziemlich über meine Stückwahl und Spielweise.
Er hätte gerne etwas "Populäreres" gehört, zum Beispiel ein bekanntes Weihnachtslied oder so.
Ich ging in mich und spielte im Dezember darauf eine etwas freche und rockige Version von
"Ihr Kinderlein kommet"
als Aussgangsspiel in der Mitternachtsfeier. Das Stück gefiel den Leuten offenbar so gut, dass
sie anschliessend - also etwa um Mitternacht - kräftig klatschten.
Der an dieser Feier mitgewirkt habende Pfarrer wurde einige Jahre später pensioniert. Das "Thuner
Tagblatt" veröffentlichte ein grosses Interview mit dem scheidenden Pfarrer. Dieser kramte in seinen
Erinnerungen herum und erwähnte auch die besagte Heiligabendfeier von 1993: Es sei ein so
andächtiger und beschaulicher Gottesdienst gewesen, und dann habe der Organist mit seinen
lärmigen Variationen über "Ihr Kinderlein kommet" die feierliche Stimmung total aus dem
Ruder laufen lassen ...
... nimmt mich nur wunder, was besagter Pfarrer zu den "Scènes pastorales" von Lefébure-Wély
gesagt hätte. Ein Werk voller Donnergrollen und Sturmesrauschen seitens der Orgel und vom
Komponisten als apartes Stück für die Christnachtmesse oder für die Einweihung einer neuen Orgel
vorgesehen.